BUNDESFINANZHOF Urteil vom 7.10.2010, V R 12/10

Verpflegung bei Seminaren grundsätzlich nicht steuerfrei - richtlinienkonforme Auslegung von § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG - Aufteilung eines einheitlichen Entgelts für steuerfreie als auch steuerpflichtige Leistungen

Leitsätze

Die Verpflegung von Seminarteilnehmern ist nur bei geringfügigen Verpflegungsleistungen nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG steuerfrei .

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein Berufsverband für Unternehmer in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins. Nach seiner Satzung fördert er die Aus- und Weiterbildung der selbständigen Unternehmer, des Unternehmernachwuchses und der Mitarbeiter.

Der Kläger veranstaltete Tagesseminare in Hotels zu unternehmerbezogenen Themen wie z.B. Schuldrechtsreform, Personalentwicklung, Betriebsverfassungsrecht, Beendigung von Arbeitsverhältnissen, Strategie oder Pressearbeit.

Die Teilnehmer hatten hierfür einen nicht weiter aufgeschlüsselten Seminarpreis zu zahlen. Der Kläger wies in den Informationen zu den Seminaren darauf hin, dass der jeweilige Seminarpreis von 200 EUR bis 600 EUR Seminarunterlagen und Verpflegung während des Seminartages enthalte, ohne hierzu nähere Angaben zu machen. Der Kläger stellte Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis aus. Nach den Kostenstellenauswertungen des Klägers ergab sich z.B. für ein Seminar bei Gesamteinnahmen von 8.710 EUR und direkt zugeordneten Kosten für Reisekosten, Referenten sowie für Räumlichkeiten, Verpflegung und Getränke im Hotel von 4.869,66 EUR ein Überschuss von 3.840,34 EUR. Andere Seminare führten zu geringeren Überschüssen.

Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass die Seminarleistungen des Klägers im Streitjahr 2002 nach § 4 Nr. 22 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) steuerfrei seien. Er sei daher nicht zu dem bisher in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug berechtigt, schulde die in Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer aber gleichwohl nach § 14 Abs. 2 UStG. Das FA erließ am 2. September 2002 einen entsprechenden Änderungsbescheid, aus dem sich eine Nachforderung von 28.277,35 EUR ergab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) bestätigte die Auffassung des FA, dass die durch den Kläger erbrachten Leistungen die Voraussetzungen von § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG erfüllt hätten. Die Seminare seien belehrender Art gewesen. Es habe sich um berufliche Fortbildungsmaßnahmen gehandelt. Hierzu gehörten wie im Ertragsteuerrecht Tätigkeiten, um in einem ausgeübten Beruf auf dem Laufenden zu bleiben, den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden und so in dem ausgeübten Beruf besser vorwärts zu kommen. Es komme auf die Veranlassung durch den bereits ausgeübten Beruf und die Förderung der Kenntnisse und Fähigkeiten in dem betreffenden Berufsfeld an. Es bestehe keine Festlegung auf bestimmte institutionalisierte Fortbildungsformen wie z.B. Ausbildungsgänge. Tageweise andauernde Fortbildungsveranstaltungen reichten aus. Es müsse sich nicht um eine ähnlich einem Lehr- oder Ausbildungsverhältnis strukturierte Fortbildungsmaßnahme handeln. Es bestehe kein Zweifel an der Berufsförderlichkeit der durch den Kläger veranstalteten Seminare. Dass bei den Vereinsmitgliedern als voll ausgebildeten Unternehmern keine Fortbildung mehr möglich sei, sei unzutreffend. Auch die bei den Seminaren erfolgte Kontakt- und Netzwerkpflege stehe im Hinblick auf die Maßgeblichkeit der Leistungsinhalte der Steuerfreiheit nicht entgegen. Die Einnahmen seien auch überwiegend zur Kostendeckung verwendet worden.

Als Nebenleistung zu einer steuerfreien Hauptleistung sei auch die Verpflegung bei den Seminaren steuerfrei. Diese sei weder gesondert berechnet noch in den Seminarprospekten besonders hervorgehoben worden. Es habe sich nur um ein Mittel gehandelt, um die ganztägige Fortbildung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Selbst wenn entsprechend dem Vortrag des Klägers unterstellt würde, dass 50 % bis 88 % der Kosten auf Speisen und Getränke entfallen seien, komme dieser quantitativen Relation aus Sicht eines Durchschnittsverbrauchers keine Bedeutung zu. Bei einem geprüften Einzelfall hätten die Kosten für Speisen und Getränke nur 40 % der Gesamtkosten und nur 24 % der Einnahmen ausgemacht. Aus der Steuerfreiheit folge die Kürzung des Vorsteuerabzugs und die Steuerschuld aufgrund des Steuerausweises in Rechnungen nach § 14 Abs. 2 UStG.

Mit seiner Revision macht der Kläger Verletzung materiellen Rechts geltend. § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG sei nicht anwendbar. Die Seminarteilnehmer würden "in Hotels mit Spitzengastronomie umfangreich bewirtet". Die Kosten hierfür hätten sich auf zwei Drittel bis drei Viertel der Teilnehmergebühren belaufen. Die Teilnehmer seien nicht "aus- und fortbildungsbegierig" gewesen, sondern wollten "in angenehmer Umgebung mit gleichgesinnten Familienunternehmern Erfahrungen und Informationen vermittelt bekommen und austauschen" und wollten dabei "Netzwerke" aufbauen und ausbauen. Die Bewirtung sei daher nicht Nebenleistung gewesen. Für den Begriff der Aus- und Fortbildung sei auf das Berufsbildungsgesetz abzustellen. Danach liege im Streitfall keine Aus- oder Fortbildung vor. Die Voraussetzungen für eine Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Bucht. i der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) lägen nicht vor, da er seine Seminare in Konkurrenz mit umsatzsteuerpflichtigen Veranstaltern anbiete.


Der Kläger beantragt sinngemäß,das Urteil des FG aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 2. September 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Oktober 2005 dergestalt zu ändern, dass die zu 16 % steuerpflichtigen Umsätze um 197.557 EUR erhöht, die steuerfreien Umsätze um 229.166 EUR gemindert und die abzugsfähigen Vorsteuern um 24.000 EUR erhöht werden.

Er regt hilfsweise eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) an.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zwar ist die eigentliche Seminarleistung steuerfrei, nicht aber auch die Gewährung von Verpflegung auf den Seminaren. Das vom Kläger vereinnahmte Entgelt ist daher aufzuteilen. Hierzu sind weitere Feststellungen zu treffen.

1. Zahlungen der Mitglieder eines Vereins wie z.B. Mitgliedsbeiträge sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG Entgelt für die Leistungen des Vereins an seine Mitglieder, wenn diese einen konkreten Vorteil erhalten (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29. Oktober 2008 XI R 59/07, BFHE 223, 493, BFH/NV 2009, 324, unter II.2.). Die Seminarleistungen des Klägers gegenüber seinen Mitgliedern gegen gesondert vereinbartes Entgelt waren dementsprechend steuerbar.


2. Die durch den Kläger erbrachten Aus- und Fortbildungsleistungen waren steuerfrei.
Zwar mag es sein, dass der Kläger seine Seminarleistungen im Wettbewerb mit anderen Seminaranbietern erbringt. Für Tätigkeiten, die --wie im Streitfall-- den Kernbereich der Befreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG betreffen, kommt jedoch ein Ausschluss nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b zweiter Spiegelstrich der Richtlinie 77/388/EWG nicht in Betracht. Ansonsten liefe die Befreiung in weiten Teilen leer (bereits BFH-Urteil vom 3. April 2008 V R 74/07, BFHE 221, 451, BFH/NV 2008, 1631, unter II.3.c aa).

3. Die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG erstreckt sich entgegen dem FG-Urteil nicht auf die Verpflegung der Seminarteilnehmer. Insoweit handelt es sich nicht um eine Aus- oder Fortbildungstätigkeit. Es liegt auch im Grundsatz keine mit der Aus- oder Fortbildung eng verbundene Dienstleistung oder eine Nebenleistung zu einer steuerfreien Leistung vor.

a) Nach der Rechtsprechung des EuGH gilt für die Steuerfreiheit der eng mit Aus- und Fortbildung verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen und der Steuerfreiheit als Nebenleistung Folgendes:

aa) Dienstleistungen und Lieferungen (Umsätze) sind nur dann mit dem Unterricht "eng verbunden" und deshalb nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei, wenn sie tatsächlich als Nebenleistungen zum Unterricht, der die Hauptleistung ist, erbracht werden (EuGH-Urteil vom 14. Juni 2007 C-434/05, Horizon College, Slg. 2007, I-4793, BFH/NV Beilage 2007, 389 Rdnr.
Danach gelten für die Frage, ob ein eng verbundener Umsatz vorliegt, dieselben Grundsätze wie im Verhältnis zwischen Haupt- und Nebenleistungen.
Maßgeblich ist daher für die Steuerfreiheit als eng verbundener Umsatz wie auch als steuerfreie Nebenleistung, dass der Umsatz oder die Nebenleistung keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung unter den bestmöglichen Bedingungen zu erhalten (EuGH-Urteil Horizon College in Slg. 2007, I-4793, BFH/NV Beilage 2007, 389 Rdnr. 29).
bb) Nach der Rechtsprechung des EuGH ist z.B. die entgeltliche Forschungstätigkeit staatlicher Hochschulen nicht als eng mit dem Hochschulunterricht verbundene Dienstleistung steuerfrei, da sie für den Hochschulunterricht nur nützlich, nicht aber unverzichtbar ist (EuGH-Urteil vom 20. Juni 2002 C-287/00, Kommission/Deutschland, Slg. 2002, I-5811 Rdnrn. 47 ff.).

Unter Bezugnahme auf sein Urteil in der Rechtssache Kommission/Deutschland in Slg. 2002, I-5811 hat der EuGH mit Urteil vom 1. Dezember 2005 C-394/04 und C-395/04, Ygeia (Slg. 2005, I-10373 Rdnrn. 27 ff.) weiter zu den mit einer Krankenhausbehandlung eng verbundenen Umsätzen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG entschieden, dass Dienstleistungen, die wie die Zurverfügungstellung von Telefonen und die Vermietung von Fernsehgeräten an Krankenhauspatienten und die Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen dieser Patienten dazu dienen, den Komfort und das Wohlbefinden der Krankenhauspatienten zu verbessern, in der Regel nicht steuerfrei sind, soweit diese Leistungen nicht zur Erreichung der mit der Krankenhausbehandlung verfolgten therapeutischen Ziele unerlässlich sind.

cc) Schließlich sind eng verbundene Umsätze und Nebenleistungen nach dem EuGH-Urteil Horizon College in Slg. 2007, I-4793, BFH/NV Beilage 2007, 389 Rdnrn. 38 ff. nach zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i i.V.m. Abs. 2 Buchst. b erster Spiegelstrich der Richtlinie 77/388/EWG nur steuerfrei, wenn diese Leistungen unerlässlich sind.


b) Nach diesen Grundsätzen ist die Verpflegung von Seminarteilnehmern im Allgemeinen entgegen dem FG-Urteil nicht als mit der Aus- oder Fortbildung eng verbundene Dienstleistung oder als Nebenleistung zur Aus- oder Fortbildung steuerfrei. Bei der Verpflegung von Seminarteilnehmern handelt es sich nicht um eine für die Aus- oder Fortbildung unerlässliche Leistung, sondern um eine hierfür nur nützliche Maßnahme, die vorrangig dazu dient, den Komfort und das Wohlbefinden bei der Inanspruchnahme der Bildungsmaßnahme zu steigern.


Dem steht die Senatsentscheidung zur Steuerfreiheit der durch Studentenwerke erbrachten Verpflegungsleistungen an Studenten (BFH-Urteil vom 28. September 2006 V R 57/05, BFHE 215, 351, BStBl II 2007, 846, unter II.2.a; a.A. Bundesministerium der Finanzen vom 27. September 2007, BStBl I 2007, 768) nicht entgegen. Maßgebend hierfür war, dass dem Studentenwerk als Anstalt des öffentlichen Rechts im Zusammenwirken mit den Hochschulen die soziale Betreuung und Förderung der Studenten obliegt (vgl. den Leitsatz der Entscheidung und die Gründe unter II.2.a). Damit ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar, weil der Kläger --anders als das Studentenwerk-- keine Einrichtung des öffentlichen Rechts ist, die mit solchen Aufgaben betraut ist, und es an einer durch öffentlich-rechtliche Vorschriften geregelten Verbindung von Fortbildung und sozialer Betreuung (bereits BFH-Urteil vom 12. Februar 2009 V R 47/07, BFHE 225, 178, BStBl II 2009, 677) fehlt. Dass es sich um die Leistungen eines Berufsverbands an seine Mitglieder handelte, reicht insoweit nicht aus.

4. Die Sache ist nicht spruchreif.

a) Im zweiten Rechtsgang sind nähere Feststellungen zu Art und Weise der Verpflegung der Seminarteilnehmer zu treffen. Bei der Veranstaltung von Tagesseminaren kann die Gewährung von Verpflegung unter bestimmten Voraussetzungen unerlässlich sein. Zur Verpflegung von Arbeitnehmern bei Unternehmensbesprechungen hat der EuGH mit Urteil vom 11. Dezember 2008 C-371/07, Danfoss A/S, AstraZeneca A/S (Slg. 2008, I-9549 Rdnrn. 60 f.) entschieden, dass die Gewährleistung der Kontinuität und des ordnungsgemäßen Sitzungsablaufs es rechtfertigten, die Bewirtung der an Sitzungen teilnehmenden Arbeitnehmer mit Sandwichs und kalten Gerichten, die im Sitzungsraum serviert werden, nicht als unternehmensfremd anzusehen. Dementsprechend ist auch die Verpflegung mit kalten oder kleinen Gerichten im Seminarraum, wie z.B. bei Kaffeepausen, unerlässlich für die Durchführung von ganztägigen Seminaren.

b) Hat der Kläger danach sowohl steuerfreie als auch steuerpflichtige Leistungen erbracht und erhält er hierfür ein einheitliches Entgelt, ist der einheitliche Preis nach der einfachst möglichen Berechnungs- oder Bewertungsmethode aufzuteilen (EuGH-Urteil vom 25. Februar 1999 C-349/96, CPP, Slg. 1999, I-973 Rdnr. 31). Dies hat ggf. durch eine Schätzung nach § 162 der Abgabenordnung zu erfolgen. Hierzu sind nähere Feststellungen zu treffen. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass bei Tagesseminaren im Allgemeinen der Verpflegung im Vergleich zum Seminarprogramm keine besonders hervorgehobene Bedeutung zukommt. Dies kann es rechtfertigen, den Anteil des Entgelts für die gegenüber den Seminarteilnehmern steuerpflichtig erbrachten Leistungen in Höhe der für die Verpflegung entstandenen Kosten im Verhältnis zu den Gesamtkosten zu schätzen. Der Steuerausweis in den Rechnungen des Klägers wäre dann hinsichtlich der steuerpflichtig erbrachten Leistungen zutreffend, so dass die Klage insoweit Erfolg hätte.

5. Die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist nicht erforderlich. Bestehen --wie hier-- nach Auffassung des Senats hinsichtlich im Streitfall entscheidungserheblicher Auslegung der Begriffe Aus- und Fortbildung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG keine Zweifel, obliegt die Entscheidung über die Beurteilung des konkreten Sachverhalts dem nationalen Gericht. Hinsichtlich der Beurteilung des Verpflegungsanteils kam eine Vorlage im Hinblick auf die durch die EuGH-Urteile Kommission/ Deutschland in Slg, 2002, I-5811 und Ygeia in Slg. 2005, I-10373 bereits eingetretene Klärung nicht in Betracht.